epd-Gespräch: Karen Miether
Hannover (epd). Mit dem neuen Schuljahr kommen auch in Niedersachsen immer mehr Flüchtlingskinder in die Schulen. Weil unter ihnen die unterschiedlichsten Glaubensrichtungen vertreten sind, steigt nach Ansicht der evangelischen Schulexpertin Kerstin Gäfgen-Track die Bedeutung des Religionsunterrichts an den Schulen. "Die Religion ist etwas, was die Menschen mitnehmen und was ihnen in der Fremde Halt gibt", sagte die Oberlandeskirchenrätin und Bildungsdezernentin der hannoverschen Landeskirche im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das spiegele sich in den Schulen wider. "Es ist wichtig, dass die Schule damit umgehen kann."
Sie erhalte zunehmend Anfragen von Lehrern zu den Religionen der neuen Schüler, etwa zum Glauben der orthodoxen Christen aus Syrien oder der Jesiden aus dem Irak, aber auch zu den Muslimen, sagte Gäfgen-Track. Dabei gehe es unter anderem um den Umgang mit verschiedenen Feiertagen und Bräuchen. "Darf man während des Fastenmonats Ramadan Klausuren schreiben?", laute eine dieser Fragen. "Es kann auch Konflikte geben, zum Beispiel wenn Kinder verschiedener Religionen auf dem Schulhof zusammentreffen."
Die Schüler müssten mit ihrem eigenen religiösen Hintergrund vertraut gemacht werden, um sich mit anderen Religionen auseinandersetzen zu können. Das Fach "Werte und Normen" könne das nicht leisten: "Jeder Mensch braucht erst einmal einen kompetenten und kritischen Umgang mit seiner eigenen Religion." Um in Deutschland heimisch zu werden, sei es zudem wichtig, den christlich-jüdischen Einfluss auf die deutsche Kultur zu verstehen, sagte Gäfgen-Track. "Unser Verständnis von den Menschen- und Grundrechten ist davon geprägt."
Gäfgen-Track begrüßte es, dass mittlerweile auch islamische Religion an den Schulen gelehrt wird und ein Studienfach an öffentlichen Hochschulen ist. "Wissenschaftlich fundiert und im Dialog mit anderen Wissenschaften können die Religionen in der globalisierten Welt einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben leisten", sagte sie. Insgesamt habe der Religionsunterricht in Niedersachsen eine anerkannte Stellung, auch wenn einzelne Parteienvertreter oder Gruppierungen ihn kritisch anfragten.
Im vergangenen Jahr standen nach Angaben der Bildungsexpertin in Niedersachsen rund 11.400 Stunden in "Werte und Normen" rund 54.600 Religionsstunden gegenüber. Dabei habe der Unterricht in evangelischer und katholischer Religion den Löwenanteil ausgemacht, sagte Gäfgen-Track. Erst 0,3 Prozent der Stunden seien islamischer Religionsunterricht gewesen. An zwei Schulen im Land werde jüdischer Religionsunterricht erteilt. Wenn immer mehr Kinder mit christlich-orthodoxem Hintergrund ins Land kämen, könnte für sie auch ein orthodoxer Unterricht angeboten werden.