Eine Tagung in Hildesheim thematisiert die Bedeutung von Musik für die Integration von Flüchtlingen
Hildesheim. Maestro Barkev Taslakian aus Beirut legt seine Gehhilfe beiseite. Er marschiert im Kreis und gibt Einsätze. Ein Kanon wird gesungen. „Tue Tue“, ein Kinderlied aus Ghana. Und schon wird der zufällig zusammengewürfelte Kreis aus TagungsteilnehmerInnen, Geflüchteten und ehrenamtlich Engagierten, die sich an diesem Abend im Flüchtlingsheim an der Senkingstraße zusammengefunden haben, zum bewegten Chor. Barkev Taslakian, der in libanesischen Flüchtlingscamps mit Hunderten von Kindern und Jugendlichen singt, stemmt die Hände in die Hüfte, stampft mit den Füßen, marschiert. Und bald folgt ihm die ganze Gruppe. Erst die Kinder, dann die Erwachsenen. Und zum Schluss auch die anfangs zurückhaltenden jungen Männer, die von der Musik aus ihren Zimmern gelockt wurden.
„Brücken bauen durch Musik“, so ist die Tagung des Michaelisklosters überschrieben, die in einer Kooperation mit dem Center for World Music (Prof. Dr. Raimund Vogels) und Vision Kirchenmusik organisiert wurde. Bis zum heutigen Freitag trafen sich MusikerInnen, KulturwissenschaftlerInnen, TheologInnen und TheatermacherInnen drei Tage lang auf dem Michaelishügel. Außerdem Menschen, die sich bereits in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren. Oder sich in Zukunft stärker engagieren wollen. Man sieht: Das gemeinsame Singen im Flüchtlingsheim passt bestens ins Tagungsprogramm. Ähnlich hatten die Teilnehmenden der Tagung zuvor auch schon eine Romeo- und Julia-Performance von Geflüchteten und Studierenden der Hochschule HAWK am Theater für Niedersachsen miterlebt.
Die Frage, wie man Begegnungen mit geflohenen Menschen auf Augenhöhe ermögliche, stelle auch kirchliche Träger vor eine besondere Herausforderung, erklärt Prof. Dr. Jochen Arnold, Direktor des Michaelisklosters und Leiter der Tagung. So sei in diesem Jahr die interkulturelle und interreligiöse Öffnung durch Musik deutlich in den Fokus der Arbeit gerückt: Dr. Verena Grüter eröffnete diese Fragestellung in ihrem einleitenden Vortrag unter dem Motto: „Ein-Stimmen in den Frieden“ Musik als ästhetisches und ethisches Medium interreligiöser Begegnungen.“ Bettina Strübel warf in ihrem Workshop die einleuchtende Frage auf: „Was können Juden, Christen und Muslime gemeinsam singen?“ und vertiefte dies durch ihren Bericht aus der interreligiösen Chorarbeit in Frankfurt. Der Gitarrist Ingo Hassenstein beeindruckte durch seine aufwändige Tournee mit der Band Strom und Wasser, bei der Flüchtlinge in die musikalische Performance zwischen Reggae und Hiphop einbezogen wurden.
Wie man in anderen Städte und Regionen Deutschlands diese Herausforderungen angeht, davon berichten Claudia Frenzel und Lydia Grün von „Kultur öffnet Welten“. Die bundesweite Initiative, ins Leben gerufen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, will sichtbar machen, wie Institutionen und Kulturschaffende sich für interkulturelle Öffnung engagieren. In 15 Tagesworkshops soll dabei die Vernetzung von regionalen Initiativen vorangetrieben werden. Das Besondere in Hildesheim: „Brücken bauen durch Musik“ ist die einzige kirchliche Initiative, die in das Programm aufgenommen wurde.
Oft, berichtet Lydia Grün, scheiterten Engagements auf lokaler Ebene bereits an kulturellen Barrieren zwischen Menschen, die seit Jahrzehnten in derselben Stadt lebten und wirkten. Das linksautonome Kulturhaus wisse nichts vom Engagement der Kirchen. Eine Migrantenorganisation fühle sich von der Verwaltung als ehrenamtliches Übersetzungsbüro ausgenutzt. „Es gibt in Deutschland viele Menschen, die was machen wollen“, ergänzt Claudia Frenzel, „aber wie mache ich's richtig?“ Diese Frage wolle „Kultur öffnet Welten“ mit gelungenen Beispielen aus ganz Deutschland beantworten. Wenn etwa ein leitender Beamter in Berlin seinen Mitarbeitenden zwei freie Stunden in der Woche für ehrenamtliches Engagement ließe, dann könne das auch in anderen Kommunen Schule machen.
Wobei: Manchmal liegt das Gelungene auch ganz nahe. Wie der „Unterwegs-Chor“, den Manuela Hörr und Mark Roberts vom Hildesheimer Theater RAM mit Mehmet Çetik gegründet haben. Unterwegs sei ihr Chor schon deshalb, erklärt Manuela Hörr, weil sich ohnehin alle bewegen müssten, wenn es um Begegnung und Miteinander ginge. Und so wandern Einheimische und Zugewanderte einmal im Monat auf den Galgenberg, um einander zuzuhören und dann gemeinsam zu singen. Denn beim „Unterwegs-Chor“ kann jeder sein Lieblingslied mitbringen. Ob ukrainische Volksweise, ein Kinderlied aus Ghana oder ein Popsong aus Afghanistan, alles ist möglich.
Aber wie lernt man aus dem Stegreif ein Lied, dessen Tonart und Sprache man nicht beherrscht? „Ganz einfach“, sagt Manuela Hörr, „man muss gut zuhören.“ Und ganz langsam Schritt für Schritt nachsingen. Klingt nach einem Beispiel, das Schule machen könnte.
Text: Maximilian Balzer