© Adobe Stock_tomertu/she-medien_sybille felchow

An alle Lehrkräfte, die das Fach evangelische Religion unterrichten

07. August 2019

Brief der Leitenden Geistlichen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen

Sehr geehrte Damen und Herren,

"Die Europawahl war nur der Anfang: Eine junge, politische, lautstarke Genera-tion macht das Klima zur neuen sozialen Frage. Wie die 68er wollen die Protestierenden den radikalen Wandel - und das Netz macht sie wirkmächtiger als ihre Vorgänger" so DER SPIEGEL.1 Die Autorinnen und Autoren versuchen in ihrem Beitrag, die Phänomene der "Fridays for Future"-Bewegung und des Videos "Die Zerstörung der CDU" des jungen YouTubers Rezo einzuordnen. Dabei hat die Frage, wie politisch interessiert und aktiv die Jugend ist, eine lange Geschichte. Die 68er-Bewegung hat ihren 50. Jahrestag schon hinter sich. In den vergangenen Jahren herrschte jedoch das Bild einer eher unpolitischen Jugend.

Das ist heute offensichtlich anders: Am 20. August 2018 verweigerte Greta Thunberg den Unterrichtsbesuch und setzte sich mit dem Schild "Schulstreik fürs Klima" vor das schwedische Reichstagsgebäude. Inzwischen hat sie u.a. den Menschenrechtspreis von Amnesty International bekommen. Mit der "Fridays for Future"-Bewegung und der enormen Wirkung des millionenfach wahrgenommenen Rezo-Videos zeigen die Jugendlichen ein starkes gesellschaftspolitisches Engagement; dabei geht es ihnen vor allem um den wirksamen Klimaschutz und damit verbunden um einen anderen Lebensstil. Bereits Kinder im Grundschulalter überlegen, ob sie Fleisch essen sollen und von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule gebracht werden wollen.

Bereits in den achtziger Jahren begann in den christlichen Kirchen der Konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, der bis heute für kirchliches Handeln richtungweisend ist. Deshalb ist es für viele Christinnen und Christen selbstverständlich, die „Fridays for Future“-Bewegung aktiv zu unterstützen. Viele kirchliche Repräsentanten suchen das Gespräch mit den Jugendlichen und stellen sich hinter sie. Die Jugendlichen von „Fridays for Future“ weisen uns kritisch darauf hin, dass wir für die Bewahrung der Schöpfung auch in der Kirche noch viel größere Anstrengungen als bisher unternehmen müssen.

Wir haben als Gesellschaft, Schule und Kirche die Aufgabe, die jungen Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren, anzuhören und ernst zu nehmen. Genauso wichtig ist es, Kinder und Jugendliche stärker auf vielen Ebenen mitgestalten zu lassen. In der Schule, insbesondere auch im Religionsunterricht, kann und soll die Bereitschaft und die Befähigung gefördert werden, bereits im Kinder- und Jugendalter selbst Verantwortung zu übernehmen. Entsprechend sollten wir Erwachsenen selbst mutiger werden, Initiativen von Jugendlichen aufzunehmen und Verantwortung an Jugendliche und junge Erwachsene wirklich abzugeben.

Wir wissen, dass die Teilnahme an Demonstrationen während der Schulzeit nicht vom Schulgesetz gedeckt ist. Wir achten aber die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sich ihr Engagement „etwas kosten lassen“, um Anstoß zu erregen und öffentlich auf die Probleme aufmerksam zu machen.

Die Beteiligung einer "jungen, politischen, lautstarken Generation" am demokratischen Prozess der Meinungsbildung setzt Bildung voraus und die Bereitschaft, die eigene Position im Diskurs auf die Probe zu stellen. Nur wer die Komplexität demokratischer Prozesse nachzuvollziehen lernt, kann verantwortungsvoll mitgestalten. Dazu gehört auch die Fähigkeit, andere Überzeugungen zu akzeptieren und Kompromisse einzugehen. Die Artikulation eigenverantworteter Positionen, die Praxis des Dialogs und die Fähigkeit, mit einer Vielfalt von Meinungen und Prägungen umzugehen, sind zentrale Aufgaben auch des Religionsunterrichts.

Wir danken Ihnen, dass Sie diese – und viele weitere – Bildungsprozesse mit den Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht gestalten. Wir wünschen Ihnen, dass es Ihnen im neuen Schuljahr weiterhin gut gelingt, aktuelle Bewegungen und gesellschaftliche Fragen in Ihrem Unterricht kreativ aufzunehmen und den Schülerinnen und Schülern ein lebensnahes authentisches Lernen zu ermöglichen, kurzum: Dass Sie auch in der Schule einen lebendigen Dialog über Fragen des Lebens und Glaubens immer wieder initiieren.

Gottes Segen stärke und begleite Sie bei der Erfüllung Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe!
Ihre
Ralf Meister-Thomas Adomeit-Dr. Christoph Meyns-Dr. Martin Heimbuch-
Dr. Karl-Hinrich Manzke

1 Der Spiegel, 1.6.2019, S. 12