Bild: Jens Schulze

Brief an evangelische und katholische Religionslehrkräfte

08. Oktober 2019

Sehr geehrte Religionslehrerinnen und Religionslehrer,

Sie nehmen eine außerordentlich wertvolle Aufgabe für das gelingende Heranwachsen junger Menschen wahr und leisten einen wichtigen Beitrag zur Bildung in unserer Gesellschaft. Der Religionsunterricht spielt für den Kompetenzerwerb in weltanschaulich-religiösen Fragen, für die ethische
Orientierung, jedoch auch beim Erarbeiten reflektierter, altersentsprechender Positionen und politischen Haltungen eine besondere Rolle. Wir danken Ihnen, dass Sie sich mit dem Religionsunterricht für das Einüben von Dialog- und Urteilsfähigkeit einsetzen und dem aufgeklärten, friedfertigen und demokratischen Zusammenspiel in unserem Land einen
großen Dienst erweisen.

Seit Monaten wird öffentlich über Portale diskutiert, mit denen eine rechtspopulistische Partei im Internet zur „Beschwerde“ über Lehrkräfte auffordert; außerdem gibt es immer wieder Versuche, die aktive und kritische Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern mit dem Nationalsozialismus oder auch verschiedenen Formen von Populismus und
Fundamentalismus zu behindern, in Frage zu stellen oder daran
Beteiligte zu verunglimpfen. Lehrerinnen und Lehrern oder „der Schule“ wird ein Mangel an Neutralität in Unterricht und Schulleben unterstellt. Internetforen und soziale Netzwerke, die zur Denunziation, zum Anschwärzen und anonymen Anprangern einladen, sind aus unserer Sicht scharf zu kritisieren. Sie verletzen den Anstand und behindern eine
intelligente Feedbackkultur.

Für Beschwerden stehen die üblichen, im Sinne der schulischen Mitwirkung vorgesehenen Wege offen und sind verlässlich geregelt. Ein faires Miteinander wird durch achtsames Interesse und gegenseitige Toleranz gefördert. Wir stellen klar, dass Sie als Lehrerin oder Lehrer in den Unterrichtsfächern Evangelische und Katholische Religion das volle Vertrauen und den Rückhalt der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und der katholischen Bistümer besitzen.

Das Neutralitätsgebot in der Schule bedeutet ausdrücklich nicht, dass Positionen nicht benannt werden dürfen, sondern dass jede Form der Überwältigung der Schülerinnen und Schüler vermieden wird. Das aktuelle „Gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“ spricht unter dem Titel „Vertrauen in die Demokratie stärken“ von „demokratischer Sittlichkeit“:
„Dazu gehören Fairness, Respekt gegenüber dem politischen
Gegner, Mut zur Kontroverse, Gemeinsinn und Gemeinwohlorientierung.“


Dies gilt auch für die politische Bildung in der Schule. Eine solche Ermutigung zur Positionalität ist ein selbstverständlicher Bestandteil des Neutralitätsgebotes. In dialogischer Weise eine Position erkennen zu lassen, gewinnt zusätzliches Gewicht in der Debatte um das jüdisch-christliche Menschenbild. Für den Erwerb religiöser Bildung sind neben
Sachinformationen auch erfahrungsbezogenes Lernen und
Kennenlernen authentischer religiöser Prägungen pädagogisch sinnvoll und erwünscht. Die Berücksichtigung der Lebenswelt junger Menschen ist ebenso ein Bestandteil der Fachdidaktik wie der Respekt vor der einzigartigen Schülerpersönlichkeit. Individuelle Lernprozesse und die Entwicklung von Haltungen und Überzeugungen brauchen gerade in religiösen Fragen den Diskurs. Sie profitieren von der Möglichkeit, sich auch mit Glaubenshaltungen der Lehrerpersönlichkeit offen und
respektvoll auseinanderzusetzen.

Im pädagogisch verantworteten Schulalltag geht es auch immer wieder um den Schutz der Menschenwürde gegenüber gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Rassismus und anderen Angriffen auf die demokratische Grundordnung. Von daher ergeben sich grundlegende Impulse für die Menschenrechtsbildung im Religionsunterricht.
Diejenigen, die das Neutralitätsgebot zu einem Verbot der Vertretung humaner Werte umdeuten, gilt es an die pädagogische Pflicht zum aktiven Eintreten für die freiheitlichdemokratische Grundordnung und ihre Erhaltung zu erinnern. Diese Grundordnung schließt die Religionsfreiheit als
Menschenrecht ein, die mit der Verankerung des Religionsunterrichts in Artikel 7 des Grundgesetzes ihren unmittelbaren Ausdruck findet.

Für Ihre verantwortungsvolle und engagierte Arbeit wünschen
wir, die evangelischen und katholischen Schulreferentinnen und
Schulreferenten, Ihnen auch in diesem Schuljahr vor allem
Freude am Lehren und Lernen und viele gute Ideen, kurz:
Gottes Segen für jeden Tag!

Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Dr. Franz Bölsker
Dr. Kerstin Gäfgen-Track
Thomas Hofer
Hilke Klüver
Dr. Karl-Hinrich Manzke
Detlef Mucks-Büker
Dr. Wilfried Verburg
Dieter Wächter
Dr. Marc Wischnowsky