Im Zuge steigender Schülerzahlen werden, das haben auch Studien gezeigt, bis 2025 an deutschen Grundschulen etliche Lehrkräfte fehlen. Gleichzeitig werden die Aufgaben, die gerade die Grundschulen übernehmen müssen, immer vielfältiger und umfangreicher. Grund genug für mehr als 120 Schulleiter*innen niedersächsischer Grundschulen, sich in der vergangenen Woche bei einer Tagung im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) über die anstehenden Herausforderungen auszutauschen. Einen der Schwerpunkte bildete dabei das Gespräch mit Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) über die „Loccumer Erklärung der Schulleitungen zur Qualitätsentwicklung in den niedersächsischen Grundschulen“. In elf kurzen Statements hatte ein Arbeitskreis der Schulleitungen formuliert, was aus ihrer Sicht zur Verbesserung der Schulqualität unumgänglich ist. So forderten sie unter anderem den Einsatz von mehr Förderschullehrkräften zur Unterstützung der Inklusion forderten sowie für verlässliche Vertretungsregelungen und die Ausstattung aller Grundschulen mit Schulsozialarbeiter*innen
„Die aktuelle Erklärung, die wir Herrn Tonne im Vorfeld dieser Tagung überreicht haben, stellt eine Überarbeitung des ersten Papiers von 2015 dar“, erklärte Lena Sonnenburg, Dozentin für den Bereich Grundschule am RPI. „Und wir sind stolz zu sehen, dass wir einige Punkte aus dem früheren Text streichen konnten. Zum Beispiel wurden inzwischen Verwaltungskräfte eingestellt, um die Schulleitungen zu entlasten. Das war eine unserer Forderungen. Die Erklärung hat also gewirkt. Das wünschen wir uns für den neuen Text nun natürlich auch.“
Grant Hendrik Tonne reagierte sehr offen auf die Statements der Schulleitungen. Er habe, so vertraute er den anwesenden Schulleitungen an, einmal durchrechnen lassen, was es bedeuten würde, wenn alle Forderungen des Papiers umgesetzt würden. „Das heißt 10.000 Lehrkräfte mehr, 10.000 pädagogische Mitarbeiter mehr – und 1,2 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten.“ Diese Zahlen, so Tonne, machten einerseits deutlich, dass selbst beim besten Willen nicht alles auf einmal realisiert werden könne; sie zeigten aber andererseits auch, wie wichtig die Forderungen der Loccumer Erklärung seien.
Nun gelte es abzuwägen, was in der gegenwärtigen Situation machbar sei. So sei es ein wichtiger Schritt, die Berufsbilder von Schulleitungen und Lehrkräften klarer zu definieren und genau festzulegen, wer welche Aufgaben habe – und wer von welchen Aufgaben auch entlastet werden könne. Bis Mitte 2020 solle festgelegt werden, welche Verantwortungen und Kompetenzen ein Schulleiter haben müsse. Denn, so Tonne, „starke Schulleitungen sind Voraussetzung für gelingende Schule“. Zur Unterstützung starker Schulleitungen gehöre auch, dass die Schulbehörden von den Schulen noch stärker als Ansprechpartner und als „Dienstleister“ wahrgenommen würden. Dies in einem Flächenland wie Niedersachsen zu gewährleisten, sei allerdings eine große Herausforderung.
Den Dauerbrenner Inklusion bezeichnete Tonne wörtlich als eines der „anstrengendsten Themen“. Er betonte, wie wichtig es weiterhin sei, die Rahmenbedingungen von Inklusion zu verbessern. Deshalb tritt Tonne dafür ein, die Ressourcen zukünftig nicht mehr danach zu berechnen, wie viele Schüler*innen mit Förderbedarf eine Schule aktuell habe, sondern dauerhaft Schulen mit einer bestimmten Summe zu bezuschussen, um so die Kontinuität der Arbeit sicherzustellen. Das alles brauche jedoch Zeit und Geduld, vielleicht mehr, als mancher gewillt sei aufzubringen. Aber, so Tonne, „Bildungspolitik verändert sich eben nicht im Quartalsrhythmus“.
Gleichzeitig müsse man erkennen, dass Schule nicht alle Defizite auffangen könne. Nicht alles, was in den Elternhäusern in Hinblick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht mehr geleistet wird, könne plötzlich in der Verantwortung der Schule sein. Hier genau hinzuschauen und den kritischen Diskurs zu suchen, bezeichnete Tonne als dauerhafte Herausforderung.
Dass auch die Schulleitungen und Kultusminister Grant Hendrik Tonne im Gespräch bleiben, hofft auch Lena Sonnenburg als Leiterin der Konferenz: „Ich bin sicher, dass die Diskussion über unsere Thesen weitergeht. Und ich sehe es als meine Aufgabe, bis zur nächsten Schulleiterkonferenz im kommenden Jahr auch nachzufragen, wo und wie die Loccumer Erklärung bereits gewirkt hat.“
Text: Dr. Michaela Veit-Engelmann
30. Oktober 2019