Lüneburger Projekt als landesweiter Vorreiter
Solange noch nicht alle Kinder und Jugendlichen wieder zur Schule gehen können, müssen sie per "Homeschooling" zu Hause lernen. Doch nicht alle haben die nötige Technik und Betreuung dafür. In Lüneburg bekommen sie jetzt Hilfe in einem Modellprojekt.
Mit Deutsch ist Mohammed schon fertig, jetzt ist Mathe dran. "Nachher bekomme ich dafür eine Eule", sagt der Zehnjährige und zeigt auf die kleinen Aufkleber neben seinem Schulheft. Für jedes Häkchen hinter einer Aufgabe gibt es eine. Der Zweitklässler kommt jeden Morgen ins Haus der Lüneburger evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde. Ehrenamtliche lernen dort mit Kindern aus benachteiligten Familien. Das Lüneburger Modell ist das erste seiner Art in Niedersachsen, andere Gemeinden wollen nun nachziehen.
Die Initiative ist ein echtes Produkt der Corona-Krise: Wegen der Pandemie musste die "Kindertafel" der Paul-Gerhardt-Gemeinde vor ein paar Wochen zeitgleich mit den Schulen schließen. Kinder aus bedürftigen Familien hatten nun keine Anlaufstelle mehr. Auf der anderen Seite gab es in diesen Familien Schwierigkeiten mit dem Homeschooling.
"Viele dieser Kinder haben zu Hause weder den Ort noch die Betreuung noch die Technik, um Hausaufgaben auf Dauer zu Hause zu leisten", sagt Oberkirchenrat Marc Wischnowsky, der das Projekt für die hannoversche Landeskirche betreut. "Auch der Sprung in die Digitalisierung ist nicht für alle Schülerinnen und Schüler machbar.
Was also tun? Mitarbeiter der Gemeinde überlegten hin und her und entwickelten schließlich den "Lernraum": ein kostenloses Angebot der Hausaufgabenhilfe mit ehrenamtlicher Begleitung in kirchlichen Räumen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie. In Absprache mit den benachbarten Grundschulen, der Stadt und der hannoverschen Landeskirche ging das Projekt Anfang Mai an den Start. Es soll so lange angeboten werden wie nötig - natürlich unter den geltenden Hygiene- und Abstandsregeln.
Hände waschen, Maske aussuchen und das Namensschild an den Pullover klemmen: Damit beginnt jeder Besuch eines Kindes im Lüneburger Lernraum. Es gibt acht Räume für jeweils ein Grundschulkind mit Lernpatin oder Lernpate. Für ältere Geschwisterkinder gibt es zwei Computer-Arbeitsplätze mit Internetanschluss und Drucker. Etwa 30 Kinder kommen täglich für eine Stunde ins Gemeindehaus und nehmen von dort jedes Mal eine handbemalte Tüte mit nach Hause: mit einem kleinen Picknick, etwas zum Malen oder Basteln und natürlich auch zum Lernen.
Diakonin Antje Stoffregen hat den Lernraum gemeinsam mit der Mentorin Barbara Hanusa von der Landeskirche entwickelt. "Uns war schnell klar, dass es für eine solche Unterstützung einen großen Bedarf gibt", sagt Stoffregen. Sie leitet die Kindertafel der Gemeinde, in der Mädchen und Jungen aus den beiden benachbarten Grundschulen normalerweise nach der letzten Stunde kommen, gemeinsam Mittag essen und anschließend Hausaufgaben machen. Sie freut sich, dass sich in der Corona-Krise das neue Projekt entwickelt hat: "Die Kinder lieben die Eins-zu-eins-Betreuung, und die Erwachsenen sind froh, dass sie unter Menschen kommen und etwas Sinnvolles tun."
Barbara Hanusa arbeitet als Mentorin an der Lüneburger Leuphana Universität und hat zahlreiche Studierende aus dem Bereich Lehramt als ehrenamtliche Lernpatinnen und Lernpaten gewonnen. "Für die Studierenden ist dies ein Praxisfeld für analoge Begegnung", sagt die Pastorin und Pädagogin. "Und für die Kinder ist es elementar. Denn diese Kinder verlieren wir sonst. Sie haben zu Hause keine Chance, beim Lernen weiterzukommen, wenn keine Schule stattfindet."
Unter dem Motto "Kirche schafft LernRaum" soll sich die Lüneburger Idee bald in Niedersachsen weiter ausbreiten. Gerade feilen evangelischen Kirchen mit den katholischen Bistümern an den Details. Oberkirchenrat Wischnowsky unterstreicht: "Solche Lernangebote sind gerade für Grundschulkinder sehr wichtig und ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit."
Carolin George (epd)