Kultusminister Grant Hendrik Tonne und Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track stellen sich bei Loccumer Elternrätetagung den Fragen der Elternvertreter*innen
Im großen Hörsaal herrscht gähnende Leere – obwohl die aktuelle Tagung in Loccum bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Doch im Saal selbst sitzen nur PD Dr. Silke Leonhard, Rektorin des Religionspädagogischen Instituts Loccum (RPI), und ihre Kollegin Bettina Wittmann-Stasch, beide ausgestattet mit Laptop und Headset; im Hintergrund wirbelt ein Techniker. Wo die Tagungsteilnehmer*innen sind, verrät der Blick auf die zahlreichen kleinen Videokacheln auf der großen Leinwand: Etwa 140 Elternvertreter*innen aus ganz Niedersachsen sind zugeschaltet, als Silke Leonhard und Bettina Wittmann-Stasch in Loccum die erste digitale Elternrätetagung eröffnen – und tatsächlich hatten noch viel mehr Interesse an einer Teilnahme. Doch auch digitale Tagungen sind irgendwann ausgebucht.
Dass so viele Eltern gerne dabei sein wollen, ist angesichts der prominenten Referent*innen kein Wunder: Zum digitalen Austausch per Videokonferenz und Chat stehen Kultusminister Grant Hendrik Tonne und Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track bereit.
„Das RPI Loccum bietet einen Raum für den Dialog zwischen Elternvertreter*innen, Kirche und Kultusministerium, den es sonst so nicht geben würde“, beschreibt Silke Leonhard das Konzept dieser Tagung. „Gemeinsam mit dem Landeselternrat überlegen wir vorher: Was ist jetzt dran und worüber wollen wir miteinander ins Gespräch kommen?“
Das beherrschende Thema dieses Jahr ist, wie kann es anders sein, die Corona-Pandemie und vor allem die Frage nach den Auswirkungen auf den Schulbetrieb. Kultusminister Grant Hendrik Tonne findet hier, sehr zur Freude der versammelten Elternvertreter*innen, deutliche Worte: Sein vorrangiges Interesse sei es, den Präsenzunterricht im sogenannten Szenario A – also mit Klassen in ganzer Klassenstärke – so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Distanzunterricht und Homeschooling, wie es Szenario B vorsieht, stoße schnell an die Grenzen, so Tonne: „Szenario B ist immer ein Weniger im Vergleich zu Szenario A.“
Die Schüler infizieren sich nicht in der Schule
Inzwischen wisse man auch: Schulen und Kindertagesstätten seien keine Treiber der Pandemie. Der Kultusminister nimmt Bezug auf Medienberichte, in denen die Rede von 6000 infizierten Kindern und Jugendlichen war: „Die haben sich nicht in den Schulen angesteckt“, betont Tonne. Das Problem sei aber, dass die Gesellschaft genau das glaube. „Die Leute denken: Wenn man überall sonst Abstand hält, müssen die Infektionen aus der Schule kommen. Hier sage ich: Das ist nicht der Fall.“ Deshalb kämpfe er dafür, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten. Dies habe für ihn Vorrang vor Freizeitsport und Kultur. Man müsse „durch Einschränkungen außerhalb von Schule den Präsenzunterricht in Schule sichern!“
Für all das erhält Tonne viel Zustimmung seitens der Elternschaft, die ihre Meinung im digitalen Chatraum kundtut. Natürlich kommen auch kritische Rückfragen via Chat, den Tonne mit bewundernswerter Aufmerksamkeit neben seinem eigenen Vortrag mitverfolgt und aus dem er ganz spontan immer wieder Hinweise aufgreift. So schreibt ein Elternvertreter: „Die Pandemie würde uns jetzt nicht so hart treffen, wenn man seit Mai etwas mehr Gas hinsichtlich Ausstattung, Digitalisierung und Schülerbeförderung gegeben hätte.“ Hier kann Tonne kontern: Was die digitale Ausstattung angehe, habe man inzwischen einen großen Anteil der 3000 niedersächsischen Schulen mit entsprechenden Kommunikationssystemen ausgestattet. Außerdem würden viele weitere Gelder von Kultusministerium und Wirtschaftsministerium bereitgestellt, um die Umsetzung des Digitalpakts zu gewährleisten.
Zeit ist auch für praktische Fragen, die den Eltern erkennbar auf der Seele liegen: Was ist mit dem Schülertransport? Oder dem Sportunterricht? Und sollen die Schulen auch im Winter weiter stoßlüften und in Kauf nehmen, dass die Klassenräume völlig auskühlen? Oder soll man auf Lüftungsfilter setzen? Auch hier hat Tonne eine klare Meinung: „Lüften ist viel effektiver!“
Balance finden zwischen Freiheit und Verantwortung
Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track kann an Tonnes Ausführungen nahtlos anknüpfen: Der Fokus müsse jetzt, im zweiten Lockdown, auf den Kindern und Jugendlichen mit ihren Bedürfnissen liegen. Selbstkritisch blickt sie auf das Frühjahr 2020 zurück: „Wir haben alle nur auf die Risikogruppen, auf die älteren und kranken Menschen, geschaut. Deshalb haben wir erst beim zweiten Blick entdeckt, was für Kinder und Jugendliche wichtig ist, damit diese in ihrer Entwicklung nicht beeinträchtigt werden. Und das ist: Kontakt zu Gleichaltrigen, Austausch, Miteinander. Präsenzunterricht ist durch nichts zu ersetzen.“ Darum müsse man gerade jetzt im Teil-Lockdown sehr verantwortlich mit der eigenen Freiheit umgehen: „Es gilt eine Balance zu finden zwischen Freiheit und Verantwortung.“
Für Gäfgen-Track ist das Projekt „Lernräume“ ein Herzensanliegen: Kirche und Staat haben sich hier im Sommer zusammengetan, um Kindern Raum und Zeit zu schenken. Kirchengemeinden und andere Einrichtungen öffnen ihre Häuser und Räume, stellen Hilfen bereit, bieten Hausaufgabenbetreuung an, arbeiten Lerndefizite auf und organisieren Mittagessen und Freizeitangebote. Stolz kann die Kirchenvertreterin berichten, dass das Projekt gerade bis zum 31. Januar 2021 verlängert wurde – und sie erklärt, dass sie schon jetzt dafür kämpfe, dass es mindestens bis zum Ende der nächsten Sommerferien weitergehen könne.
Denn Gäfgen-Track weiß, dass Eltern Hilfe brauchen, wenn ihre Kinder womöglich bald wieder ins Homeschooling gehen müssen. Doch sie sieht auch die Not der Pädagog*innen: „Viele Lehrkräfte arbeiten seit Monaten am Limit!“ Oft seien diese ja nicht nur beruflich, sondern auch privat durch die gegenwärtige Situation sehr belastet. Gäfgen-Track wirbt dafür, „mit Barmherzigkeit miteinander umzugehen. Wir brauchen in dieser Gesellschaft sehr viel Herzenswärme.“ Dies kann Cindy-Patricia Heine aus Göttingen, Vorsitzende des Landeselternrates, nur unterstreichen: „Wenn wir den Dialog verlieren, geraten wir ins Gegeneinander. Es geht darum, einander zuzuhören, um so ins konstruktive Miteinander und Füreinander für alle an Schule Beteiligten zu kommen.“
Text: Dr. Michaela Veit-Engelmann, Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum (michaela.veit-engelmann@evlka.de, 05766/81138; www.rpi-loccum.de)