Interview mit Lena Sonnenburg
Im Sommer steht für viele Kinder der Wechsel in die 5. Klasse an. Im Gespräch erzählt Lena Sonnenburg, Dozentin für den Bereich Grundschule am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI), worauf Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule achten sollten.
Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder aufs Gymnasium schicken. Lässt sich dieser Trend jemals wieder umkehren?
Ich schätze eher nicht; denn ich vermute hinter diesem Trend eigentlich eine Sorge. Viele Eltern befürchten, dass ihr Kind ohne Abi keine Chance im Leben hat. Der Trend lässt sich also eigentlich nur umkehren, wenn Eltern erkennen, dass ein Kind auch dann glücklich und erfolgreich sein kann, wenn es nicht auf ein Gymnasium geht.
Ist der Wunsch der Eltern nach der bestmöglichen Ausbildung nicht verständlich?
Doch, total. Aber bestmöglich heißt ja nicht automatisch Abi und Studium, sondern die bestmögliche Ausbildung ist die, die das Kind glücklich macht. Und glücklich ist ein Kind dann, wenn es seine Begabungen entfalten darf, wenn es frei lernt und nicht den Eindruck hat, es muss immer nur abliefern und es gibt immer Druck. Was hilft es denn, wenn ein Kind studiert, sogar erfolgreich studiert, aber dabei immer merkt: Handwerkliches macht eigentlich viel mehr Spaß? Ich meine: Nicht alles, was man kann, macht einen auch glücklich.
Wie sicher können Lehrer*innen nach der 4. Klasse wissen, welche Schulform die beste für ein Kind ist?
Naja, ganz sicher wissen kann man das natürlich nicht. Aber einen Trend kann man oft schon ablesen, immerhin begleiten Grundschullehrer*innen die Kinder meist vier Jahre lang. Und dann kann man schon gucken: Wie viel Arbeitsbereitschaft zeigt ein Kind, wo liegen die Stärken und wo eben auch nicht? Und die Lehrkräfte sammeln ja auch Erfahrungen, sie hören davon, wie die Kinder auf den weiterführenden Schulen klarkommen. Aber klar: Gerade in der Pubertät und durch einen neuen Freundeskreis ändert sich auch nochmal viel.
Welche Kinder wären auf einer Oberschule oder einer Gesamtschule besser aufgehoben?
Auf jeden Fall Kinder, die nicht so anstrengungsbereit sind und denen Lernstoff nicht einfach so zufällt. Und natürlich die, die nicht nur Schule im Blick haben wollen, sondern auch in ihrer Freizeit ganz vielseitig interessiert und unterwegs sind. Diese Kinder können nicht so viel Zeit für Schule aufbringen. Wer fünfmal in der Woche Sport macht, kann eben nicht so viel für den Unterricht lernen. Mir ist dabei ganz wichtig: Auch Kinder, die auf die Gesamtschule oder die Oberschule gehen, können ja später noch Abitur machen. Für viele ist dieser Weg vielleicht sogar der bessere, denn der Druck auf einem Gymnasium ist dann doch nochmal ein anderer. Im Rückblick hatte mein Bruder, der erst auf einer Realschule war und dann sein Abitur gemacht hat, definitiv eine entspanntere Schulzeit als ich.
Tage der offenen Tür können zurzeit nicht stattfinden. Viele Eltern treibt zudem womöglich die Sorge um, dass ihre Kinder nicht ausreichend auf den Wechsel an eine weiterführende Schule vorbereitet sind. Ist diese Sorge berechtigt?
Ich weiß von Schulen, wo sich die Lehrkräfte aus der 4. Klasse und aus der 5. Klasse zusammensetzen und gucken: Was habt ihr in diesem Schuljahr geschafft, wo können wir also anknüpfen, wo müssen wir was nachholen? Wo das passiert, ist der Übergang optimal vorbereitet. Ich würde mir wünschen, dass es diesen Austausch überall gibt.
Die Fragen stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann, am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für Öffentlichkeitsarbeit.