Welchen Beitrag leistet das Resonanzkonzept zur Religionspädagogik? Unter dieser Fragestellung fand am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) eine Fachtagung statt, bei der Expert*innen aus Theorie und Praxis das Resonanzkonzept aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten. Die Beiträge dieser Tagung sind nun in einem Aufsatzband des RPI erschienen, herausgegeben von Barbara Hanusa und Silke Leonhard. Im Interview sprechen die beiden darüber, was ihnen wichtig ist, wenn es um Resonanz in der Schule und im Religionsunterricht geht.
Wenn Sie die Resonanztheorie in einem Satz erklären sollten, wie würde der lauten?
Silke Leonhard: Ein Satz kann ja nur verdichten – ich versuche es: Der Resonanzgedanke macht stark, dass das Verhältnis von uns Menschen zur Welt nicht nur durch Beschleunigung und Aktion, sondern auch durch so etwas wie eine pathische Dimension gekennzeichnet ist. Jetzt brauche ich doch einen zweiten Satz: Diese bedeutet ein bewegtes Verhältnis von Hören und Antworten aufeinander.
Barbara Hanusa: Mit der Metapher „Resonanz“ fragt Hartmut Rosa kritisch nach unseren gegenwärtigen Beziehungen zur Welt. Wie erfahren wir Subjekte Welt? Anstelle von Verbindung ist ständige Reichweitenvergrößerung das Gebot der Stunde. Wir leben im Alltagsbewältigungsverzweiflungsmodus.
Ihr Buch spricht im Untertitel von einem „Streitgespräch“. Was ist denn genau strittig und zwischen wem?
Barbara Hanusa: Eine Referentin sagte bei unserer Tagung: „Die Religionspädagogik muss nicht jede Kuh durchs Dorf treiben.“ Mit dieser „Kuh“ meinte sie die Resonanzpädagogik und ihre Umsetzung im Religionsunterricht. Strittig ist also ganz grundlegend: Was trägt Resonanz für den Religionsunterricht aus?
Silke Leonhard: Im Grunde ist es ein Streit zwischen der Resonanzpädagogik und der Kompetenzorientierung. Es geht um die Frage, ob unser Ansatz wirklich weiterführt, bei dem wir unter Voraussetzung von Entfremdung und Differenz in der Didaktik die Verbundenheit von Menschen und der Welt immer mitdenken.
Barbara Hanusa: Ich finde ja, Resonanz und Kompetenz müssten gar nicht streiten, auch wenn sie es de facto tun. Ich würde die Resonanztheorie als Ergänzung der Kompetenzorientierung sehen.
Warum ist das Resonanzkonzept für die Religionspädagogik überhaupt von Interesse?
Barbara Hanusa: Das Resonanzkonzept betont, wie wichtig es ist, sich bewegen und berühren zu lassen. Das gilt aber auch für Verstehensprozesse, wenn sie nachhaltig wirken sollen, und ist deshalb auch für den schulischen Kontext wichtig.
Sie beschreiben in Ihrem Buch Resonanz als eine Didaktik für Religionsferne. Inwiefern?
Silke Leonhard: Die Stärke des Resonanzkonzepts ist seine Orientierung nicht ausschließlich an Subjekten, sondern zugleich an der Welt und ihren Dingen. Das beginnt bei dem einzelnen Menschen, seinem Leben und seiner Religiosität, und ermöglicht, eine tiefere Dimension von Wirklichkeit wahrzunehmen und der Welt zu begegnen. Die Resonanz schafft eine Form des Kontakts zwischen Menschen und religiösen Erfahrungen, die immer mehr verloren geht.
Barbara Hanusa: Resonanz setzt beim Erleben an und ermöglicht religiöse Begegnung auf ganz niedrigschwellige Art. Sie ermöglicht religiöse Deutung mithilfe nichtreligiöser Sprache. Ein Beispiel dafür wäre der Einsatz von kalligraphischem Arbeiten mit biblischen Texten. Es kommt vom Eindruck zum Ausdruck. Das Arbeiten mit Schrift ermöglicht, Dinge ruhig und gelassen zu befragen, bildhaft zu denken und sie dann zu verwandeln. So nehmen sie Gestalt an und werden meins.
Resonanz, das wird immer wieder betont, ist unverfügbar. Wie lässt sich das mit dem Unterrichtsgeschehen zusammendenken?
Barbara Hanusa: Mir hilft es immer, mir zu vergegenwärtigen: Lernen ist ein doppelter Erschließungsprozess: Ich erschließe mir selbst etwas, aber zugleich werde ich auch erschlossen. Das Resonanzkonzept ist deshalb für das Unterrichtsgeschehen wichtig, weil es diese unverfügbare Dimension von Lernen wieder in Erinnerung ruft und für den Unterricht zurückgewinnt.
Wie sieht denn ein Religionsunterricht aus, in dem Resonanz eine Rolle spielt?
Silke Leonhard: Ein solcher Religionsunterricht braucht Lehrkräfte, die sensibel für das sind, was Religion eben auch ist. Auch in organisierten Lernprozessen geht es darum, dass zum Tragen kommt, was Religion ausmacht. Dafür braucht es Lehrkräfte, die in Beziehung zu den Menschen und zu der Sache sind. Beziehung gibt es natürlich auch dann, wenn Unterricht anders gestaltet ist, aber wenn man auf die Kompetenzorientierung schaut, dann merkt man: Dort wird das Beziehungsgeschehen stärker funktionalisiert.
Barbara Hanusa: Für mich zeichnet sich ein solcher resonanzorientierter Unterricht durch drei Aspekte aus. Erstens durch den Dialog; dieser ist unverzichtbar, wenn Jugendliche Resonanzen spüren und sich mitteilen wollen. Zweitens durch intuitives Denken. Resonanz heißt, davon auszugehen, dass die Äußerungen der Jugendlichen auch theologisch wertvoll sind. Und drittens: Dieser Unterricht ist langsamerer Unterricht. Er geht an zentralen Fragen exemplarisch in die Tiefe.
Silke Leonhard: Und zwar in eine Tiefe, in der es um Wirklichkeit und Wahrheitssuche geht. Resonanz, das ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern es geht darum, gerade jetzt unter Corona, die Brüche der Welt wahrzunehmen, sichtbar zu machen und darin nach Wahrheit zu suchen.
Barbara Hanusa: Resonanz, das ist eben nicht Gefühligkeit, auch wenn viele das gerne behaupten. Sondern Resonanz meint intuitives Denken – und Denken folgt immer bestimmten Regeln und hat eine Klarheit. Aber es stimmt: Die Übertragung der Resonanzpädagogik in eine didaktische Klarheit, die steht noch aus. Ein solches Buch muss noch geschrieben werden.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einer „resonanzsensiblen Schulwelt“. Was ist das und woran merke ich, dass es das an meiner Schule gibt?
Silke Leonhard: Das merkt man daran, ob eine Schule eine Form des Miteinanders pflegt, in der die Unterschiedlichkeit der Kinder ihren Platz hat – vielleicht so etwas wie eine hörende Schule, die auf die Anklänge der Welt hört und sich in Bewegung bringen lässt.
Barbara Hanusa: Eine solche Schule hat einen polyphonen Klang. Sie ist ein Ort, an dem sich alle, Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte, gerne aufhalten. Eine solche Schule ist mehr als Unterricht, an ihr gibt es Feste, sie gestaltet das Leben der Menschen in ihr rituell aus: das Ankommen, den Abschied, den Umgang mit Trauer und Traurigkeiten.
Silke Leonhard: Und eine solche Schule ist in Resonanz mit ihrer Umwelt, aus der sie Dinge aufnimmt.
Hartmut Rosa bezeichnet Religion als Resonanzversprechen. Mehr nicht?
Silke Leonhard: Ich finde, Religion als Resonanzversprechen zu begreifen, ist schon ziemlich viel! Religion ist Verheißung und das Versprechen, dass Fragen gehört werden, von und mit Gott reden zu können.
Barbara Hanusa: Es geht darum, Kinder und Jugendliche damit aufwachsen zu lassen, dass es etwas gibt, das mich will und hört. Die Gewissheit zu vermitteln: Was ich sage, geht nicht ins Leere. Religion als Resonanzversprechen, das ist keine Frage von mehr oder weniger, sondern das ist das Zentrale!
Die Frage stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann, Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit am Religionspädagogischen Institut Loccum