Kinder im Kindergartenalter sind wissbegierig. Sie fragen nach vermeintlich Eindeutigem und nach den großen Zusammenhängen des Lebens. Erzieher*innen unterstützen sie beim Entdecken. Unter dem Titel „Der Neugier Raum geben“ fand dazu jetzt eine Fortbildung am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) statt. Im Interview erzählt Dozent Gert Liebenehm-Degenhard, was dabei wichtig ist.
Sie sprechen davon, dass es wichtig ist, der kindlichen Neugier Raum zu geben. Wie kann man sich das denn im Kita-Alltag vorstellen?
Das geschieht in den Kitas jeden Tag. Kinder wollen die Welt entdecken. Sie sind aktive Weltbegreifer*innen. Manchmal geht es darum, zu erkunden, wie etwas „funktioniert“: Wie sich die Farben beim Malen vermischen und neue Farben entstehen. Warum man den Zucker im Tee nicht sehen kann. Woher die Kellerasseln auf der Terrasse herkommen und wo sie hinlaufen. Wer die Sonne anknipst. Interessant ist: Häufig verbirgt sich hinter vermeintlichen Wissensfragen die Suche nach einem Zusammenhang, nach dem „Sinn“. Viele „Warum-Fragen“ wollen herausfinden, was das mit dem eigenen Leben zu tun hat. Ein Beispiel: Ein Mädchen hat gefragt: „Warum regnet es jetzt?“ und hatte auch eine Antwort parat: „Weil die Blumen Durst haben.“ Informative Aufklärung war in diesem Fall nicht ihr Interesse, sondern der Zusammenhang von Regen und Leben.
Haben Sie ein paar Ideen, wie die pädagogischen Fachkräfte die kindliche Neugier gezielt fördern können?
Das „A B C“ dafür kennen die Fachkräfte. A – wie Achtsamkeit für den Moment. Feinfühlig zu merken, was das Kind gerade jetzt interessiert oder an welchem Thema es schon länger dran ist. Die Bedürfnisse der Kinder wahrnehmen, auch wenn es Kellerasseln sind und sich vom Staunen und er Neugier anstecken lassen. Ein zweites A bezieht sich auf die Augenhöhe. Es unterstützt die Neugier und das Verstehen, wenn wir uns auf die Weltsicht der Kinder einlassen und wirklich an ihren Wahrnehmungen und Deutungen interessiert sind. B: Die Beziehung ist auch hier das Wichtigste. Kinder, die sich sicher fühlen, trauen sich, die Welt und damit das Unbekannte oder Merkwürdige zu entdecken. Sie stellen schwierige Fragen, wenn sie merken, dass ihnen zugehört wird. C: Chancen ergreifen. Mit den Kindern weiterfragen. Manche Kita ist ein „Haus der kleinen Forscher*innen“ und gehen den „Wie funktioniert das?“-Fragen gezielt und mit Labor und Experimenten nach. Andere machen ein Schnecken-Projekt. Wieder andere schaffen einen Rahmen und Zeit, um die Fragen der Kinder in Ruhe zu ergründen. Sie üben sich darin, durch Fragen und Impulse das Weiterdenken anzuregen.
Und wo liegen die Stolperfallen?
Die eigene „Abgeklärtheit“ steht uns manchmal im Weg. Die Faszination des Lebens ist bei uns Erwachsenen zuweilen verblasst oder unter dem Alltagsbewältigungsmodus ergraut oder sogar verschüttet. Wir haben schon viele flatterige Zweibeiner gesehen. Wir kennen Kategorien und sind trainiert, Dinge einzusortieren. Und übersehen möglicherweise diese ungewöhnlich farbige Musterung oder die abwartend-mutig-vorsichtige Haltung dieses Spatzes beim Aufpicken der Krümel. Manchmal sind wir bei den großen Fragen selbst verunsichert. Wenn ein Kind uns fragt: „Friert Opa im Sarg?“, stoßen wir vielleicht an eigene Fragen oder Zweifel oder fühlen uns in dem Moment eher überfordert als sattelfest.
„Theologisieren mit Kindern“, so lautet ein Fachbegriff. Was aber ist, wenn die Kinder eine theologische Idee entwickeln, die ich als erwachsener Mensch völlig falsch finde?
Es hilft, wenn wir unsere theologischen Urteile erstmal pausieren lassen. Besser ist, die Idee der Kinder als anregende Spur aufzunehmen. Wer weiß, was wir damit noch entdecken können?! Dazu dient auch eine Rückfrage: „Was bedeutet das für Dich?“ Denn „Theologisieren“ meint, mit den Kindern über ihre Gedanken ins Gespräch zu kommen, sie in Beziehung zu setzen mit eigenen Erfahrungen, zu prüfen und weiterzuspinnen. Als zweites würde ich überlegen: Geht es um eine entscheidbare Frage, auf die es eine klare Antwort gibt? Zu diesen Fragen können wir recherchieren und Informationen sammeln. Zwei Beispiele: Ein Junge äußerte einmal die Überzeugung, Jesus habe keine Frau gehabt, denn damals gab es noch keine Frauen. Dies ist eine entscheidbare Frage. Wenn ich mit ihm dann überlege: Warte mal, wie hieß nochmal die Mutter von Jesus?, dann kommen wir auf die Spur, dass es doch schon Frauen gab, ohne dass ich ihn kritisiere. Oder: Ein Kita-Kind sagte zur Leitung: „Ich habe Gott gesehen. Er wohnt in der Kirche.“ Da lag ein Missverständnis vor, das die Kita-Leitung aufklären konnte: Ach, Du meinst den Pastor, der erzählt Geschichten von Gott. Eine andere Art sind die „großen“, unentscheidbaren Fragen, für die auch Erwachsene unterschiedliche Antworten geben. In einer Kita kamen Kinder auf die Frage, wer Gott ist. Einer der Jungs meinte: „Gott ist so eine Art wie Tiere. Meine Mama hat so ein Buch von ganz vielen Tieren. Vielleicht ist er ein Nachttier, weil man ihn nie sieht.“ Hier würde ich nicht zustimmen, weil diese Vorstellung eine Engführung wäre. Aber was dann? Im konkreten Fall hat die Erzieherin eine wirklich schlaue und wohltuende Hilfestellung gegeben: „Du stellst dir vor, Gott ist wie ein Tier? Ihr kennt Menschen, ihr kennt Tiere, ihr kennt Gegenstände.“ Damit hat sie seine Idee respektiert und zugleich in Zusammenhang gebracht mit wichtigen Denkkategorien. Damit konnte die Gruppe weiterdenken. Ein Mädchen: „Gott ist nicht so. Er ist wie die Sonne.“ So kamen die Kinder mit weiteren Ideen ins Gespräch. Die Nachttier-Idee war somit ein Anstoß für neue Sichtweisen. Meine Aufgabe ist also, Perspektivwechsel anzuregen („Ist das immer so?“ – „Die einen sagen, die Toten sind in der Erde, andere sagen, sie sind im Himmel: Wie passt das zusammen?“). Und wenn es angebracht ist, kann ich eigene Sichtweisen ergänzen: „Weißt du, was ich manchmal denke …“
Wenn Kinder aber nun Fragen an die Erzieher*innen haben, die die selbst nicht beantworten können?
Dann ist das kein Makel, sondern eine Gelegenheit, sich gemeinsam auf die Suche zu machen. Die Kinder merken, dass wir uns durch sie auch selbst anregen lassen. Oft haben die Kinder dazu schon eigene Vorstellungen, nach denen ich mich erkundige. Und anschließend überlegen wir: Wie kommen wir zu Antworten? Wen können wir fragen? Wo können wir nachschauen? Also, sich von den nicht gleich beantwortbaren Fragen nicht verunsichern lassen. Besser ist, sich daran zu freuen.
Die Fragen stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann, am RPI Loccum zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.