„Wir räumen Steine aus dem Weg oder helfen drum herumzulaufen!“
16 Religionslehrkräfte aus verschiedenen Schulformen haben am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) ihre Ausbildung als Schulseelsorger:innen abgeschlossen. In einem Gottesdienst in der Loccumer Kapelle erhielten sie jetzt ihre Zertifikate und wurden für ihren Dienst gesegnet.
Anne-Kathrin Ollek von der Michael-Ende-Grundschule in Neustadt am Rübenberge ist eine der frisch Zertifizierten. „Dieser Gottesdienst extra für uns ist für mich der krönende Abschluss der Fortbildung“, sagt sie. „Dass ich hier für meine Aufgabe gesegnet werde, bedeutet mir sehr viel. Dieser Segen kommt von Gott, er gibt mir Kraft und ich weiß, dass Gott mich begleitet.“
Vorausgegangen war diesem Abschluss eine anderthalbjährige berufsbegleitende Fortbildung, die aus Seminaren, Einzelgesprächen, der Durchführung eigener Projekte und einer Abschlussarbeit bestand.
Zu insgesamt sieben mehrtägigen Seminaren kamen die Religionslehrkräfte nach Loccum oder trafen sich coronabedingt zumindest digital. In diesen Veranstaltungen lernten sie das Handwerkszeug, das sie als Schulseelsorger:innen brauchen: Gespräche mit Menschen im System Schule führen oder mit Notfällen, Tod und Trauer in der Schule umgehen. Doch auch für die Entwicklung niedrigschwelliger Konzepte zur Verbesserung der Schulkultur war Zeit: ein Tauschregal im Eingangsbereich gestalten, einen Projekttag zum Thema „Durchatmen“ durchführen, die gemeinsame Vorbereitung von Schulgottesdiensten, Geburtstagsgrüße für Kolleg:innen.
Begleitet wurden die angehenden Schulseelsorger:innen von RPI-Dozentin Bettina Wittmann-Stasch und Pastorin Almut Künkel, beide sind ausgebildete Systemische Supervisorinnen. „Es ist beeindruckend, wie sich die teilnehmenden Religionslehrkräfte für die Schulseelsorge und ihre Schule engagieren“, schwärmt Almut Künkel. „Schulseelsorger:innen arbeiten ja ehrenamtlich. Ich finde es außerdem toll, wie offen und persönlich die Menschen in den Seminaren miteinander umgehen. Man merkt richtig, wie die Kurse zusammenwachsen.“
Bettina Wittmann-Stasch betont: „Wir bilden hier auf Grundlage des systemischen Ansatzes aus. Das heißt: Als Schulseelsorgerin traue ich den Menschen zu, die bei mir Rat suchen, selbst Experte oder Expertin für das eigene Leben zu sein und also die Lösung des Problems zu finden.“
Systemische Schulseelsorge bedeutet nicht, Ratschläge zu erteilen, sondern darauf zu vertrauen, dass die Lösung im Hilfesuchenden selbst steckt. Ist dieser Ansatz für Lehrkräfte nicht manchmal ungewohnt? „Vielleicht“, sagt Anne-Kathrin Ollek. „Besonders bei jüngeren Kindern, mit denen ich in der Grundschule zu tun habe. Aber ich bin immer wieder erstaunt, wie wunderbar die Kinder das hinbekommen, eigene Lösungsideen für ihre Situation zu entwickeln. Ich weiß noch: Ein Mädchen aus der 2. Klasse kam dreimal zum Gespräch zu mir und am Ende konnte sie selbst sagen: So, jetzt bin ich hier fertig!“
Timo Brokmann, Religionslehrer an der Oberschule Selsingen und ebenfalls angehender Schulseelsorger, ergänzt: „Diese Form der seelsorglichen Begleitung ist doch die einzige, die in der Schule alltagstauglich ist. Wir können nur kurze und prägnante Gespräche, im Grunde zwischen Tür und Angel, führen. Wenn Steine im Weg liegen, dann helfen wir, sie aus dem Weg zu räumen oder wenigstens drumrumzulaufen.“
Wer sein Zertifikat in den Händen hält, kann sich nun, wenn er oder sie möchte, als Schulseelsorger:in von der eigenen Landeskirche beauftragen lassen. Bettina Wittmann-Stasch erklärt: „Schulseelsorgende erhalten mit dieser Beauftragung ein Schweigerecht, das dem von Pastor:innen gleichgestellt ist. Eigentlich unterliegen nämlich alle Lehrkräfte der Auskunftspflicht gegenüber der Schulleitung, doch Schulseelsorger:innen sind davon in Ausübung ihres Auftrages ausgenommen.“
Doch auch wer sich nicht kirchlich beauftragen lassen wird, kann aus diesen anderthalb Jahren viel mitnehmen. Timo Brokmann war es ein Anliegen, seine Gesprächstechniken zu verfeinern: „Hier in Loccum konnte ich in einem geschützten Raum viel ausprobieren. Das war sehr hilfreich.“ Seine Kollegin Anne-Kathrin Ollek fügt hinzu: „Hier habe ich gelernt, Kindern und Eltern dabei zu helfen, Sorgen und Nöte zu bewältigen. Das bedeutet mir sehr viel.“
OKR Dr. Marc Wischnowsky, in der hannoverschen Landeskirche auch zuständig für den Bereich Schulseelsorge, sprach den frisch gebackenen Schulseelsorger:innen im Gottesdienst den Segen Gottes zu. In seiner Predigt nahm er Bezug auf die erschreckende Erfahrung eines inhumanen Krieges in Europa, der auch an Schüler:innen nicht vorbeigehe: „Schulseelsorge bietet Räume zur Klage, zur Frage und zum Gebet. Schulseelsorger:innen halten in der Schule die Hoffnung am Leben und ermutigen dazu, Verantwortung zu übernehmen.“
Informationen zur Ausbildung als Schulseelsorger:in sind hier zu finden: https://www.rpi-loccum.de/Arbeitsbereiche/Schulseelsorge
Text und Bild: Dr. Michaela Veit-Engelmann, Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum