Der Krieg in der Ukraine beherrscht die Medien und viele Gespräche unter Erwachsenen. Wie aber ist das mit Schüler:innen? Was bekommen sie mit und wie sollen Eltern und Lehrkräfte auf die Fragen und Sorgen der Kinder und Jugendlichen reagieren? Lena Sonnenburg, Dozentin für den Bereich Grundschule am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI), und ihre Kollegin Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge, raten dazu, das komplexe Thema nicht zu grob zu vereinfachen.
Ist der Krieg gegen die Ukraine unter Schüler:innen ein Thema?
Bettina Wittmann-Stasch: Das Thema ist auch bei jungen Menschen da – gerade beidenen, die eigene Kriegserfahrungen gemacht haben und sich nun langsam erst daran gewöhnen wollten, hier in Deutschland ohne Angst leben zu können. Das sind oft Schüler:innen, die ja wirklich wissen, was Krieg ist, vor Bomben aus Syrien geflohen sind und nicht wie ich in einem sicheren Gefühl aufgewachsen sind. Sie haben Angst, dass der Krieg sie erneut vertreibt. Eine Schulseelsorgerin hat erzählt: „Eine Schülerin von mir hat am Mittwoch nur die Türe etwas zu heftig zugeknallt – und schon versteckt sich eine andere unterm Tisch.“ Das Trauma des Krieges kommt schneller ins Klassenzimmer, als wir Erwachsenen das für möglich halten. Und daneben gibt es die Kinder, deren Familien aus der Ukraine oder Russland kommen. Sie haben Angst um Verwandte – und sicher auch Wut auf die jeweils andere Seite.
Lena Sonnenburg: Das kommt natürlich sehr auf das Alter, Elternhaus und viele weitere Faktoren an. Eine Kollegin aus der ersten Klasse hat erzählt, dass ihre Schüler:innen den Konflikt um die Ukraine noch überhaupt nicht erwähnt haben. Für diese Kinder war es wichtig, nach zwei Jahren Coronapause am Freitag Fasching zu feiern und fröhlich zu sein. Andere Grundschullehrkräfte berichten von sehr aufgeklärten, ängstlichen oder pragmatischen Kindern: „Sollen sie doch alle vom Krieg abhauen und einfach zu uns kommen. Dann klingeln sie, ich mach die Tür auf und sage: Kommt rein, unser Arbeitszimmer ist noch frei.“
Sollte man jetzt in manchen Fächern vom Lehrplan abweichen und über den Krieg sprechen?
Lena Sonnenburg: Einige Kinder werden vermutlich immer wieder auf den Konflikt zu sprechen kommen, andere sehnen sich nach ihrem Alltag. Für die Erwachsenen gilt es daher besonders aufmerksam zu sein: Bei wem kreisen die Gedanken? Wird Krieg plötzlich zum Pausenhofspiel? Stellen die Schüler:innen immer wieder Fragen zum Thema? Dann sind weiterführende Gespräche, Forscheraufgaben oder die Beschäftigung etwa mit den Menschenrechten angesagt – egal, was der Lehrplan gerade vorsieht. In jedem Fall ist der morgendliche Gesprächskreis ein sinnvoller Ort, um Fragen zu besprechen, aufzuklären, Mitgefühl auszudrücken und vielleicht sogar zu verschriftlichen. Aber es ist auch wichtig, den Kindern dann auch wieder eine Chance auf die durch Corona ja sowieso schon angespannte „Normalität“ zu geben.
Bettina Wittmann-Stasch: Ich glaube, das ist tatsächlich ein Thema für beinahe jeden Unterricht – und der Religionsunterricht ist ein besonders guter Ort dafür. Ich bin überzeugt: Die meisten Schüler:innen werden Bilder in den Nachrichten auf unterschiedlichsten Kanälen gesehen haben von rollenden Panzern und mehr. Das kann man nicht verhindern.
Was raten Sie dann Lehrkräften und Eltern im Umgang mit dem Thema?
Bettina Wittmann-Stasch: Es kommt darauf an, dass Kinder und Jugendliche damit nicht allein bleiben. Die Kinder zu fragen, was sie beschäftigt, ist ein guter erster Schritt. Kinder nehmen Nachrichten oft ganz anders auf als Erwachsene. Das kann überraschend sein: Wenn sie sich zum Beispiel Gedanken darum machen, wie die Kinder dort jetzt Zähne putzen können, wenn kein Licht an sein soll… Mit groben Vereinfachungen arbeiten, um kindgerecht zu sein, ist aus meiner Sicht aber kein guter Weg. Die Komplexität von Krieg lässt sich nicht bagatellisieren. Sprüche wie „Die waren böse und müssen dafür bestraft werden“ werden der Sachlage nicht gerecht. Auch einfache Übertragungen zwischen Krieg und kindlichen Streitereien sind nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Ältere Schüler:innen interessieren sich schon mehr dafür, wie man da wieder rauskommt, welche Ideen es geben kann, wie Diplomatie hier noch eine Chance haben soll. Was können Worte bewirken?
Lena Sonnenburg: Schon bei Kindern im Grundschulalter gilt: Kommen Sie mit den Kindern ins Gespräch! Meist schnappen auch schon die Kleinsten irgendetwas auf und füllen „Leerstellen“ mit eigenen Vorstellungen, die Unsicherheiten und Ängste verstärken. Darum: Sprechen Sie mit den Kindern – mit viel Fingerspitzengefühl. Einige Kinder brauchen nun sicherlich einen intensiven Austausch, andere schützt ein routinierter Alltag vor zu vielen Sorgen. Aufklärung ist aber für alle wichtig! Kindernachrichtensendungen wie „Logo“ erklären den Konflikt sachlich und angemessen, können leicht im Unterricht oder zu Hause angesehen und besprochen werden und tragen so dazu bei, Solidarität zu schulen und Ängste abzubauen.
Die Fragen stellte Michaela Veit-Engelmann, am RPI Loccum zuständig für Öffentlichkeitsarbeit