Zum 1. August startet das neue Kita-Jahr. Ein Grund, einmal nachzufragen, was eigentlich eine gute Kita ausmacht. Wie dabei die Kita-Kinder selbst in die Qualitätsentwicklung einbezogen werden können, erklärt Gert Liebenehm-Degenhard, am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für die Religionspädagogik im Elementarbereich, im Interview.
Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hat untersucht, was aus Sicht von Kindern eine gute Kita ausmacht. Nämlich?
Gert Liebenehm-Degenhard: Die Studie der Bertelsmann-Stiftung „Achtung Kinderperspektiven. Mit Kindern Qualität entwickeln“ bietet mehrere sehr anregende Impulse. Zum einen sind es die 23 Qualitätsdimensionen, die die Studie formuliert. Sie geben wichtige Hinweise, woran Kinder eine gute Kita erkennen. In den Erkundungen hat sich z.B. gezeigt, dass der verpflichtende Mittagsschlaf für einige Kinder eine Last ist. An einem „verrückten schönen Tag“ wäre der Mittagsschlaf eine Möglichkeit, sie könnten aber auch draußen spielen oder eher aufstehen.
Ein anderes immer wieder zu erkennendes Interesse war – mit den Worten der Kinder: „Wir spielen in Ruhe zu Ende und sind dabei die Bestimmer“. Also das Bedürfnis nach einer Spielkultur, die Fantasie ermöglicht und unnötige Unterbrechungen vermeidet. Kinder legen großen Wert auf „geheime Orte“; das sind Orte, wo sie auch mal unter sich sein können, im Haus oder oft im Außengelände und in der Natur. Diese Orte ermöglichen intensive Natur- und Spielerfahrungen. Ein weiteres Beispiel: Kinder mögen und brauchen Ausnahmen von der Regel. Sie erproben einen spielerischen Umgang mit ‚Normalität‘. Situationen, in denen sie einmal etwas durften, was sonst nicht üblich ist, werden hoch geschätzt und als Ausdruck der Anerkennung nachhaltig erinnert. Kinder wollen Regeln und Grenzen einhalten, wenn es ihnen erklärt und einleuchtet, und sie wollen sie in Frage stellen und von humorvollen Menschen umgeben sein.
Was eine gute Kita ist, entscheiden also die Kinder?
Gert Liebenehm-Degenhard: Nicht nur, aber auch! Was mir an der Studie sehr gut gefällt: Sie zeigt auf, wie Kinder kontinuierlich und systematisch an der Entwicklung von Kita-Qualität beteiligt werden können. Denn Kinder haben ein Recht darauf, gehört, gesehen und gefragt zu werden. Das gehört zu den UN-Kinderrechten und zum Profil einer jeden evangelischen Kita. Sie sind aktive Mitgestalter*innen ihrer Welt. Die Vorstellungen der Fachkräfte und des Trägers und die Interessen und Bedarfe der Eltern spielen bei der Frage einer guten Kita natürlich eine große Rolle. Dazu kommen die Erwartungen der Gesellschaft an den Bildungsauftrag der Kita. Die Sichtweisen der Kinder werden nicht immer im gleichen Umfang erkundet und einbezogen. Das liegt auch daran, dass Kita-Kinder nicht mit denselben Methoden zu befragen sind, wie dies bei Erwachsenen möglich ist.
Die Kinder sollen also einbezogen werden. Wie lässt sich das praktisch umsetzen?
Gert Liebenehm-Degenhard: Die Studie hat eine Reihe von pfiffigen und soliden Möglichkeiten entwickelt, wie Kinder wirkungsvoll an der Qualitätsentwicklung beteiligt werden können. Dazu hat die Studie zwölf Methoden erprobt, mit denen die Kinderperspektiven gut erforschbar sind. Zum Beispiel können Kinder die Erwachsenen durch die Kita führen und ihnen für sie wichtige und schöne Orte zeigen. Es ist sehr aufschlussreich, welche Orte sie ansteuern und was sie dabei erzählen. Fokussierte Beobachtungen liefern ebenso wertvolle Hinweise wie Malaktionen oder auch Gespräche mit Kleingruppen. Oder: Die Kinder überlegen, wie ein verrückter, schöner Tag in der Kita aussehen würde. Eine Beschwerdemauer zeigt, was die Kinder stört und was sie anders haben möchten.
Jede Kita vor Ort entwickelt für sich, was die beste Qualität ist. Sie ist nämlich eher wie ein Puzzle aus den unterschiedlichen Perspektiven, das immer neu zusammengesetzt wird. Darum braucht es vor Ort immer wieder gemeinsame Überlegungen mit allen Beteiligten, um herauszufinden, was gerade dran ist. Wo sehen die Fachkräfte oder die Eltern, wo sehen die Kinder Veränderungsbedarf?
Ein konkretes praktisches Beispiel: In einer Kita haben sich Kinder darüber beschwert, dass die Toilettentüren immer wieder von außen geöffnet werden, um zu sehen, ob etwas frei ist. Da man in der Kita keine abschließbaren Türen haben kann, haben die Kinder mit der Fachkraft ein System mit „roten Ampeln“ entwickelt. Kleine rote Lämpchen wurden an den Klotüren befestigt und können von den Kindern eingeschaltet werden. Dies ist eine kleine Veränderung, die zeigt: Die Bedürfnisse der Kinder werden ernst genommen.
Kitas klagen über Fachkräftemangel, zugleich nehmen sie zusätzliche Kinder aus der Ukraine oder anderen Krisengebieten auf. Muss man in solchen Zeiten Abstriche bei der Qualität machen?
Gert Liebenehm-Degenhard: Eine erste Antwort kann nur lauten: Nein. Nicht noch weitere Abstriche bei der Qualität. Die Corona-Pandemie, die Vakanzen durch Krankheiten oder unbesetzte Stellen und die gestiegenen Anforderungen führen schon jetzt dazu, dass in vielen Situationen die Qualität nicht so umgesetzt wird, wie es die Fachkräfte wünschen und die Kinder brauchen. Zur Zeit gibt es in vielen Kitas Wartelisten, so dass nicht alle Betreuungswünsche erfüllt werden können. Auch nicht durch die vom Land ermöglichte Aufnahme eines 26. Kindes in eine Regelgruppe.
Darum sind Kitas auch zurückhaltend, die Gruppen durch ein geflüchtetes Kind zu vergrößern. Dort, wo dies möglich ist, haben Kitas dies umgesetzt. In anderen Fällen waren und sind Angebote in Kirchengemeinden, Gemeindehäusern viel sinnvoller. Dort gibt es Gruppen für geflüchtete Kindern. Sie ermöglichen eine Betreuung und oft auch Sprachkurse für die Mütter.
Eine zweite Antwort kann nur in der Aufforderung an das Land Niedersachsen bestehen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Eine Reihe von freien Kita-Trägern hat zu einer ‚konzertierten Aktion‘ aufgerufen, um mehr Vorbereitungszeit, mehr Leitungsstunden und einen besseren Personalschlüssel zu ermöglichen. Denn: Abstriche bei der Qualität der Kita bedeuten auch Abstriche bei der Arbeitsqualität der Fachkräfte. Sie würden nur dazu führen, dass der Personalmangel steigt. Für die Kinder, die Familien und die Fachkräfte brauchen wir aber mehr Qualität.
Die Fragen stellte Michaela Veit-Engelmann, am RPI Loccum zuständig für Öffentlichkeitsarbeit.