Loccum. Die Mehrheit der evangelischen Religionslehrkräfte befürwortet einen Religionsunterricht im Klassenverband. Am liebsten hätten sie, wie in anderen Fächern auch, alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse beisammen – unabhängig davon, ob und was sie glauben. Eine spontane Umfrage in Loccum ergab nichts anderes als die repräsentativen Untersuchungen des Göttinger Theologieprofessors Bernd Schröder.
Seine Ergebnisse präsentierte Schröder bei der „Loccumer Konferenz für Pastor*innen und Diakon*innen mit einem Schulauftrag für Religionsunterricht“ im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI). Der Wunsch ist das eine, die Wirklichkeit nicht unbedingt das andere. Denn an 60 Prozent der niedersächsischen Schulen wird laut einer aktuellen Studie, an der Schröder beteiligt war, Religion (auch) im Klassenverband unterrichtet. „Für alle, die das Grundgesetz im Blick haben, ist das ein beunruhigender Befund“, sagte der Professor mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. „Ich bin nicht die Schulaufsicht, aber an vielen Schulen wird Religionsunterricht in einer Form erteilt, die rechtlich nicht vorgesehen ist.“
Die Gründe sind vielfältig. Oft fehlten die Lehrkräfte, um auch andere Konfessionen abzudecken. Vielfach werde nicht einmal das Fach Werte und Normen angeboten. Genau dies sei aber grundgesetzlich geboten, so Schröder. Denn die Verfassung sichere nicht nur das Recht auf Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu, sondern ebenso die Abwahl desselben. Darum liege die Lösung auch nicht in der Zusammenlegung beider Fächer zu einem neuen Fach „ReWeNo“, wie manche Lehrkräfte sich das wünschten. „Das bloße Miteinander ist noch kein produktives Lernsetting.“
Da Schulfragen Ländersache sind, gibt es auch in Sachen Religionsunterricht einen Flickenteppich der Modelle. Während in einigen Bundesländern das Fach Evangelische Religion dominiert, gibt es in anderen den sogenannten konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Hierzu gehört Niedersachsen, deren Kirchen aktuell mit dem gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht (CRU) eine Weiterentwicklung anstreben. In Berlin und Brandenburg wiederum wird dem Fach Ethik beziehungsweise LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde) der Vorzug gegeben.
Ein Alleinstellungsmerkmal hat Hamburg mit seinem „Religionsunterricht für alle“. „Hamburg ist multireligiöser als jeder andere Ballungsraum“, erläuterte Schröder, der die Bemühungen der Hanseaten bemerkenswert findet. Denn hier sei es gelungen, die verschiedenen Interessen und konkurrierenden Wahrheitsansprüche sorgsam auszutarieren. Rund 120 Religionsgemeinschaften gibt es in Hamburg, allerdings stellen diese nur etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung. Und so wählen trotz aller Anstrengungen, einen „Religionsunterricht für alle“ anzubieten, dann doch etwa 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 das Alternativfach Philosophie.
In Niedersachsen sieht der Wissenschaftler die Bedingungen für eine derart multireligiöse Ausrichtung (noch) nicht gegeben. „Wir sollten mit allem, was wir an Ressourcen und Geschick haben, auf den christlichen Religionsunterricht zugehen“, warb Schröder. Für Fächer wie Ethik oder Religionskunde bedürfe es keiner Lehrenden mit theologischer Qualifikation mehr. „Im CRU sind Sie ausgesprochen nützlich und hilfreich“, sagte er den Schulpastor*innen und -diakon*innen. Er sehe die Tendenz mit Sorge, den Zugang zum Lehramt für Quereinsteiger zu erleichtern. Sobald man die Verschiedenheit der Glaubenden und Nicht-Glaubenden ernst nehme, werde jeder Unterricht fachlich und didaktisch anspruchsvoll. „Niedrige Hürden führen deshalb in die falsche Richtung. Nach dem Motto: Kommt doch alle von den Hecken und Zäunen, das bisschen Reli kriegt ihr schon hin.“
Guter Religionsunterricht könne sowohl Pluralitätsfähigkeit fördern wie auch der Identitätsfindung und -stabilisierung dienen. Eine bloße Religionskunde leiste „keinen substanziellen Beitrag zu existenziellen Fragen“, ist der Professor überzeugt. Dafür brauche es mehr als nur Informationen. Religion und Theologie hingegen könnten im besten Fall eine Hilfe für das Leben sein.
Text und Bild: Lothar Veit, für die Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum