Das Fach Religion wird an den Schulen in Niedersachsen bisher überwiegend getrennt nach Konfessionen unterrichtet. Doch das soll sich ändern: Die evangelischen Kirchen und katholischen Bistümer in Niedersachsen verhandeln mit der Landesregierung über einen gemeinsamen „Christlichen Religionsunterricht“. Diese neue und bundesweit einzigartige Form des Religionsunterrichtes soll ab dem Schuljahr 2025/26 an allen allgemein- und berufsbildenden Schulen des Landes erteilt werden. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne), wie sie die Zukunft des Religionsunterrichtes sieht.
Frau Hamburg, die beiden großen Kirchen in Niedersachsen möchten das neue Fach „Christlicher Religionsunterricht“ einrichten. Unterstützen Sie die Idee?
Hamburg: Ja, auf jeden Fall. Da haben die Kirchen in Niedersachsen wirklich Wegweisendes geleistet. Denn das ist ja nicht automatisch gegeben, dass man Gemeinsamkeiten findet und schaut, wie man in einem gemeinsamen Unterricht mit den Unterschieden umgeht, die es ja nun mal gibt. Ich glaube, dass das sehr zeitgemäß ist. Und deswegen freue ich mich darauf, das auf die Kultusbürokratie zu übertragen und es gut auf die Spur zu setzen.
Ist der Zeitplan einzuhalten?
Hamburg: Ich hoffe. Wir reden ja über Fragen von Verfassungsrang. Schülerinnen und Schüler haben einen Anspruch auf einen eigenen konfessionsgebundenen Unterricht. Das ist die Frage, die über allem schwebt. Und die wollen wir natürlich gründlich lösen, damit das Modell ein Erfolg wird und nicht womöglich mit Klagen einhergeht.
Welche Klagen?
Hamburg: Wenn zum Beispiel ein Elternteil sagt: Mir ist das nicht recht, ich möchte einen rein evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Ich rechne zwar damit, dass dieses Risiko marginal ist, weil sich die Kirchen ja einig sind. Aber es wäre ärgerlich, wenn das gute Ansinnen am Ende dadurch infrage gestellt wird.
Wo sehen Sie die Vorteile eines gemeinsamen Unterrichtes?
Hamburg: Er wird zu einer Verständigung führen. Auf der einen Seite lernen die Schülerinnen und Schüler den eigenen konfessionellen Standpunkt kennen, aber auch gleich die Auseinandersetzung mit den Unterschieden. Im Prinzip könnte ich mir so etwas auch für religionsübergreifende Fragen vorstellen, die ja an der Schule sonst wenig Raum haben. Auf der anderen Seite ist das Modell sehr pragmatisch, weil konfessionell getrennter christlicher Unterricht gar mehr überall angeboten werden kann. In dieser Form wird der Religionsunterricht wahrscheinlich flächendeckend für längere Zeit gut stattfinden können.
In Hamburg haben sich die Kirchen beim Religionsunterricht mit den Muslimen und anderen Religionsgemeinschaften verständigt, um einen interreligiösen Ansatz zu verfolgen. Wäre so etwas auch eine Perspektive für Niedersachsen?
Hamburg: Es gibt bei diesen Themen immer die Frage: Darf man das nach der Verfassung? Insofern würde ich sagen: Wir machen jetzt erst einmal den ersten Schritt, setzen das Konzept der Kirchen um und schauen danach, was darüber hinaus geht, weil es gesellschaftlich notwendig ist. Aber ich glaube, dass die Schule gut daran täte, dem Dialog der Religionen Raum zu geben.
Den Anspruch auf Religionsunterricht gibt es ja auch für Muslime. Vor zehn Jahren hat Niedersachsen deshalb den islamischen Religionsunterricht eingeführt. Aber der wird offenbar bislang nur von einem kleinen Anteil der muslimischen Schülerinnen und Schüler besucht. Was muss passieren, damit sich das ändert?
Hamburg: Zum Teil fehlt es noch an Lehrkräften, dadurch ist es für Eltern vielleicht nicht attraktiv. Wir sind ja noch dabei, ausreichend Lehrkräfte auszubilden. Zum anderen wissen viele Eltern anscheinend nicht, dass es die Möglichkeit eines bekenntnisgebundenen Unterrichtes gibt. Er kann ja ab einer gewissen Anzahl von Schülern erteilt werden. Eltern können sagen: Wir haben soundsoviele Schülerinnen und Schüler, wir wollen das gern, und dann wird es eingerichtet. Darüber müssen wir noch mehr informieren.
Was besuchen die muslimischen Schülerinnen und Schüler denn alternativ?
Hamburg: Entweder den christlichen Religionsunterricht oder vielfach Werte und Normen. Oder in der Grundschule so etwas wie Soziales Lernen.
Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft des Religionsunterrichtes?
Hamburg: Ich glaube, dass er durch die Initiative der Kirchen im Bereich des evangelischen oder katholischen Unterrichtes sehr gut aufgestellt ist. Das ist genau die Antwort, um das Fach zukunftsfest zu machen. Aber wir erleben natürlich, dass sich Menschen immer weniger für eine Religionszugehörigkeit entscheiden. Und da stellt sich dann schon die Frage, wie der Religionsunterricht dann vorgehalten werden kann.
Ist ein Religionsunterricht für alle denkbar?
Hamburg: Das geht nicht, denn jeder hat auch das Recht, vom Religionsunterricht freigestellt zu sein und nicht damit in Berührung zu kommen.
Ist umgekehrt ein nicht bekenntnisgebundenes Fach Ethik, Religionskunde, Werte und Normen für alle vorstellbar?
Hamburg: Bei einer pauschalen Antwort steht in Niedersachsen die Verfassung davor. Das macht es schwierig, solche Szenarien zu denken. Es lohnt sich im Blick auf die Zukunft, aber gibt keine konkrete Planung in diese Richtung. Ich glaube, dass eine solche Debatte aus den Religionen, Wertegemeinschaften und der Gesellschaft selbst erwachsen muss. Die kann man nicht von oben aufstülpen.
So ein Schritt ist ein weiter Weg mit viel Dialog. Ich könnte mir vorstellen, dass man irgendwann an den Punkt kommt, zu sagen: Vielleicht macht man das abwechselnd. Ein halbes Jahr bekenntnisgebundene Religion, ein halbes Jahr übergreifende Religionskunde und Ethik. Damit es Austausch gibt. Denn viele wissen ja überhaupt nichts voneinander. Das ist schade, denn sie leben ja alle zusammen.
Haben Sie selbst Erinnerungen an den Religionsunterricht?
Hamburg: Ich fand besonders spannend die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Religionen und wie sie ihren Glauben praktizieren. Das hat mich immer sehr gereizt. Religion beschäftigt sich ja mit der Frage, wie man lebt. Woher kommen bestimmte Glaubenssätze, warum gibt es die eigentlich?
Gehören Sie selbst einer Religionsgemeinschaft an?
Hamburg: Nein, keiner. Ich bin zwar durchaus kirchennah erzogen, aber meine Eltern wollten, dass ich das einmal selbst entscheide. Das ist seitdem ein inneres Thema für mich, das mich schon sehr lange umtreibt. Lasse ich mich taufen oder nicht? Deswegen hatte ich in der Schule beides schon, sowohl Werte und Normen als auch Religion.
epd-Gespräch: Michael Grau und Karen Miether