Bild: Jens Schulze

Newsletter Mai 2024

21. Mai 2024

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

am 23. Mai wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 75 Jahre alt, das ist ein Grund zur Freude und zum Feiern. Als sie dieses Gesetz 1949 verabschiedeten, hatten die 61 Väter und vier ! Mütter des Grundgesetzes das nationalsozialistische Terrorregime und den durch es entfachten Weltkrieg noch sehr dicht vor Augen. „Nie wieder“ sollten Menschen benachteiligt, verfolgt oder ermordet werden, weil sie einer vermeintlichen Norm nicht entsprechen, weil sie anders glauben, denken, lieben, leben. Dieses „Nie wieder“ ist in den Texten und zwischen den Zeilen des Grundgesetzes deutlich zu lesen. Das Grundgesetz ist Grundlage für das Zusammeneben einer freiheitlichen, demokratischen und sozialen Gesellschaft, die für andere eintritt, deren Recht und Gesetz das Leben und die Würde aller Menschen schützt, gerade von Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Kindern, Menschen mit Krankheit oder Behinderung.

Die hebräische Bibel stellt uns einen Gott vor Augen, der Recht für alle Menschen will, für den Gebote und Weisungen für ein menschliches Zusammenleben unverzichtbar sind. Zu den prominentesten Rechtstexten der Welt gehören die 10 Gebote. Aufgeschrieben sind sie in der hebräischen Bibel. Dort wird erzählt, wie Mose, als das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten geflohen war, am Berg Sinai die Gesetzestafeln für ein Leben in Freiheit empfing. Gott selbst, so die Überlieferung, habe Mose die Tafeln mit den 10 Geboten gegeben, die die Grundlagen für ein Leben in Gemeinschaft mit Gott und im Zusammenleben mit anderen bilden. „Ich bin der Herr, dein Gott“ (2. Ms 20,2) – das Bekenntnis zu Gott ist biblisch die Grundlage allen Rechts. Ein Recht, das über seine Positivität hinaus einen transzendentalen Grund hat, ist ein starker Garant für ein „Nie wieder“. So hat das Grundgesetz in seiner Präambel den Gottesbezug, der immer umstritten war und ist, aber der mit verhindern kann, dass Menschen anderen Menschen ihr gutes Recht nehmen: Recht ist nicht nur von Menschen erarbeitet, es hat einen transzendentalen Grund. Gott will, dass Recht ist und alle Menschen ihre Würde und ihr Recht haben. Dass es allen „Nie wieder“ genommen werden kann, heißt bis heute, auch Christinnen und Christen haben die Aufgabe, sich dafür einzusetzen, dass die Würde von Menschen unantastbar wird und bleibt und sie ihr Recht bekommen.   

Gleichzeitig blicken wir als Christinnen und Christen auf unsere eigene Geschichte und müssen feststellen: Wir selbst sind diesem Anspruch nicht immer gerecht geworden. Stattdessen ist das Menschenrecht auf Würde vielfach verletzt und missbraucht worden – von Menschen, die in unseren Kirchen arbeiten, beruflich und ehrenamtlich. Als Kirchen sind wir schuldig geworden und müssen uns dieser Schuld stellen, indem wir alles dafür tun, dass Taten aufgedeckt, Täter identifiziert und verurteilt werden. Wir haben die Aufgabe, Missbrauchserfahrungen aufzuarbeiten, damit Schuld aufgedeckt und benannt wird sowie Betroffenen Gerechtigkeit widerfährt. Wir müssen alles für die Prävention sexualisierter Gewalt tun, was möglich ist, gerade in Kitas, Schulen und in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen. Es geht hier in einem elementaren Sinn um Recht und Gerechtigkeit, darum, den von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen ihr Recht zu gewähren. Es ist unsere Aufgabe, für dieses Recht und diese Gerechtigkeit einzutreten, das Evangelium zu verkündigen, um den Gott zu zeigen, der den Missbrauch als Sünde verurteilt und der Heilung und Hoffnung den betroffenen Personen geben kann.

Die Bibel erzählt auch, dass der Tanz um das goldene Kalb die Tafeln mit den 10 Geboten zerbrochen hat. Als Mose zum zweiten Mal mit den beiden Tafeln der Gebote vom Berg Gottes herunterstieg, lag auf seinem Gesicht ein Glanz. Wer Gott begegnet, der oder die trägt einen Glanz auf dem Gesicht, dessen oder deren Gesicht leuchtet von der Erfahrung der Liebe Gottes. Eine Liebe, die uns strahlen lässt, mit der Gott heilt und Hoffnung schenkt und die wir sehen in den Gesichtern von anderen Menschen, die vor Liebe leuchten. Wir als Menschen tragen wie Mose das Recht in Händen, sind für das Recht verantwortlich, sind uns bewusst, dass wir auch darin auf Gott bezogen sind. Mit dem Glanz der Liebe Gottes im Gesicht dürfen wir auf diesen Gott verweisen, auf seine Liebe zu allen Menschen, die heilt und Hoffnung schenkt. Gottes Recht in Händen – Gottes Liebe als Glanz auf dem Gesicht.

Das wünscht Ihnen
Ihre
Kerstin Gäfgen-Track