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Warum feiern die Kirchen 75 Jahre Grundgesetz?

30. August 2024

Drei Fragen an Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track

75 Jahre Grundgesetz ist in Deutschland ein Anlass zu feiern. Auch die Kirchen feiern mit. Warum?

Mit der jüdisch-christlichen Rede von Gott ist elementar verknüpft, dass dieser Gott für Gerechtigkeit und Recht als Grundlage der Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Gott und den Menschen eintritt. Dieses Recht soll grundsätzlich das Leben und die Würde des Menschen schützen und fördern. Der Einsatz für Gerechtigkeit und Recht ist daher für Kirchen elementar. Deshalb feiern die Kirchen auch gerne 75 Jahre Grundgesetz mit.

Viele Mütter und Väter des Grundgesetzes waren damals überzeugt, dass die Menschenwürde von Gott gegeben und darum schützenswert ist. Sehen Sie diesen Schutz der Menschenwürde heute gefährdet?

Menschliches Leben und Menschenwürde sind grundsätzlich gefährdet, dafür steht in der Bibel exemplarisch die biblische Erzählung der Ermordung von Abel durch Kain. Dagegen steht von Anfang an in der jüdisch-christlichen Tradition die Überzeugung, durch ein gutes Recht Leben und Menschenwürde zu schützen: Recht gegen Gewalt und für die Ermöglichung von gelingendem Leben jedes einzelnen Menschen. Ein solches Recht muss von jedem einzelnen gelebt, in der Gesellschaft bejaht und von einem Staat notfalls mit der Androhung von Gewalt oder Gewalt selbst durchgesetzt werden. Das ist ein schmaler Grat, der aktuell bei Themen von Asyl und Zuwanderung - gerade nach den Taten von Solingen - sowie bei der Unterstützung von Staaten wie Ukraine, Israel und Palästina ebenso ausgemittelt werden muss wie bei den Themen Kinderrechte oder assistierter Suizid. Diese Themen berühren viele tiefe christliche Überzeugungen und deshalb ist auch heute die Teilnahme am Dialog um Fragen von Recht sowie der Weiterentwicklung des Grundgesetzes oder rechtlich legitimierter Gewalt Teil des kirchlichen Auftrages.

Wenn Sie in die Bibel schauen: in welchen Texten sehen Sie vergleichbare Grundhaltungen wie in unserem Grundgesetz?

Klassisch sind natürlich die Zehn Gebote ebenso wie der „Bundesschluss“, die Vereinbarung Gottes mit den Menschen am Ende der Sintflutgeschichte. Der Regenbogen ist dort ein Zeichen: Gott wird menschliches Leben nicht mehr vernichten, sondern verheißt trotz menschlicher Schuld und Gewalt den Schutz des Lebens und seiner Würde. Den Regenbogen finde ich ein wunderbar realistisches Symbol dafür: er ist durchscheinend und damit zeigt er seine Fragilität, selten ist er „ganz“ zu sehen und doch leuchtet er in vielen Farben. Ein gutes Recht kann Licht auf unser gesellschaftliches und kirchliches Zusammenleben werfen.

Das Gespräch führte Jan von Lingen
Superintendent des Kirchenkreises Leine-Solling
August 2024

© Jens Schulze

Dr. Kerstin Gäfgne-Track
Leiterin der Abteilung Bildung und Schule
Bildung, Religionsunterricht, Evangelische Schulen.
Bevollmächtigte der Konföderation

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